Von Hartz IV und dem Bildungsgedanken

Gestern erreichte mich ein Link, dessen Inhalt mich sehr wütend gemacht hat. Auf Spiegel Online wurde vom skandalösen Umgang von Mitarbeitern des Jobcenters mit schulpflichtigen Jugendlichen berichtet. Dies hat mich aus persönlichen Gründen sehr getroffen, denn mir ist Ähnliches widerfahren.

Wer mich näher kennt, weiß vielleicht schon, dass ich aus einer, offiziell so bezeichneten, „Bildungsfernen Familie“ stamme. Meine Mutter war allein erziehend, mein Vater hatte mit Suchtkrankheit und einer problematischen Interpretation von Legalität zu kämpfen, wodurch der Kontakt sich bereits zu meiner frühen Schulzeit irgendwann bei null einpendelte. Mein Bildungsweg verlief bis zum Abitur trotz Spaß am Erlangen des Wissens etwas kurvig. Durch verschiedene Stationen gelangte ich an den Punkt, mein Abitur nachzuholen. Bis meine Mutter durch Stellenabbau ihren Job verlor und ich mich, als „Hartz IV-Kind“, auf einmal mit verantworten musste.

Wenn es nach dem damaligen Jobcenter gegangen wäre, hätte ich damals mein Abitur abgebrochen und eine Ausbildung angefangen. Die schockierten und empörten Kommentare unter dem verlinkten Artikel freuen mich einerseits, weil sie zeigen, dass auch die Masse der Leser dort das Vorgehen verurteilt. Sie irritieren mich andererseits, weil ich eigentlich immer dachte, das Vorgehen wäre bekannt. Ich vermute, dass es interne Anweisungen gibt, wie junge Menschen, deren Eltern Hartz IV beziehen, anzusprechen sind, denn die Dinge, die mir gesagt wurden, entsprechen fast im Wortlaut den bei Spiegel Online erwähnten.

Sind Sie sicher, dass Sie das schaffen?

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Wollen Sie nicht lieber eine Ausbildung machen?„.

Ich finde Ausbildungen gut und sehe sie nicht als höher oder minderwertig gegenüber einem universitären Studium an. Es ist in meinen Augen eine Präferenzsache – wo möchte man hin, wie will man arbeiten und was braucht man dazu? Danach sollte entschieden werden,  wo man nach der Schule weitermacht. Ich finde es jedoch unmöglich, wenn junge Menschen, die sich für einen der beiden Wege entschlossen haben, durch Suggestivfragen davon abzubringen versucht werden.

Ich hatte das große Glück, dass meine Familie zwar formal wenig Bildung aufweist, aber alle mir nahestehenden Personen mit Wissensdurst, Neugier, Kreativität und einer Wertschätzung von Bildung geprägt sind. Auch wenn das Geld knapp war, wurde, soweit das ging, an Büchern nie gespart. Ich sollte immer alle Möglichkeiten haben zu lernen. Natürlich ging das nicht mit allen Dingen, teure Musikkurse oder Reisen waren als Kind eben nicht drin. Aber ich wurde immer darin bestärkt meinen Weg zu gehen und dazu gehörte auch, das Abitur nachzuholen und zu studieren.

Sehen wir uns jetzt mal die Situation derjenigen Kinder in Hartz IV-Familien an, die vielleicht sogar gegen das Bestreben ihrer Eltern versuchen, den best möglichen Abschluss zu machen, ganz unabhängig davon, ob sie studieren oder eine Ausbildung (für die man mit Abitur oft auch bessere Karten hat!) beginnen wollen. Oder Kinder, deren Familie alle Hoffnung auf sie setzt, damit sie das Abitur machen, auch wenn sie vielleicht Schwierigkeiten haben und die Noten mal etwas schlechter ausfallen. Wenn so einem jungen, beeinflussbaren Menschen ein Mitarbeiter einer offiziellen Institution, die einem ohnehin schon Auflagen auf den Rücken bindet, die junge Menschen nicht zurückhalten sollten, dann sagt „Nee, lass mal lieber“ – was für eine Einschlagskraft kann so eine Äußerung haben! Oft sind es nicht die in langen Gesprächen erarbeiteten Lebensweisheiten, die einen prägen, sondern Sätze, die mal nebenbei gefallen sind. Die Frage, ob man sich das auch wirklich zutraut mit dem Abitur, und guck mal, hier, da ist ja sogar ne vier auf dem Zeugnis, die hat das Potential Zweifel zu säen und junge Menschen, die bestärkt und für ihre Ambition unterstützt werden sollten, zu verunsichern.

Es reicht vielleicht nicht, dass man nach dem Motto „Mitgehangen, Mitgefangen“ auch als Jugendlicher eine Anwesenheitspflicht bei Hartz IV hat und das Wochenende mit Freunden in einer anderen Stadt theoretisch beantragen müsste. Es reicht anscheinend auch nicht dass man, so logisch sinnvoll das im Rahmen der Kostenminimierung sein mag, als Hartz IV-Kind keinen Minijob ausführen und das Geld behalten darf, da es vom Familienbezug abgezogen wird. Aber unter Notenkontrolle eine Rechtfertigung ablegen zu müsen, warum man, so wie alle anderen Schüler einfach auch, das Grundrecht auf Bildung wahrnehmen möchte – da sollte es langsam reichen! Für die Eignungsempfehlung zur weiterführenden schulischen Laufbahn ist immer noch die Grundschule und dann in jährlicher Bewertung die jeweilige Lehrkraft zuständig, nicht das örtliche Jobcenter!

Was hat das alles mit mir und diesem Blog zu tun? Nun vielleicht verirrt sich ja die ein oder andere von Hartz IV betroffene Person mit Bildungswünschen hierher. Dieser kann ich nur sagen: Bleib dran! Gib nicht auf, auch wenn der Weg hart ist und Du es vielleicht weniger einfach hast als andere mit günstigeren Startbedingungen! Zieh Dein Ding durch und finde einen Bereich, der Dir Spaß macht, dann wirst Du mit genug Ehrgeiz und Arbeit daran sehr weit kommen, egal ob das jetzt eine Ausbildung zum Laborassistenten, zur Einzelhandelskauffrau oder ein Studium in Germanistik, Luft- und Raumfahrttechnik oder eben Human Factors ist.

Gib nicht auf – das Gefühl, trotz der düsteren Prophezeiungen von Jobcentereigenen Orakelkräften irgendwann an tollen Konferenzen und spannenden Seminaren teilzunehmen oder eben seine Abschlussarbeit in den Händen zu halten, ist alles wert! Und das Schönste daran ist: bei jedem Schritt auf dem Bildungsweg weiß man, wie sehr man dafür gekämpft hat. Man schätzt bereits den Schulabschluss sehr stark wert, denn man musste sich aktiv dafür entscheiden, ihn zu absolvieren und das Vorhaben gegen Widerstände durchsetzen. Wenn man dann das erste Mal in einem Vorlesungssaal sitzt, kann es einem vorkommen wie ein Traum, der auf einmal wahr geworden ist. Und diese Momente wird man während des Studiums immer mal wieder haben – man wird auf dem Campus stehen und denken „ich hab es hierher geschafft!“. Man wird tun können, was man liebt und sich auch dabei denken „das ist mein Verdienst!“. Man wird sogar soweit kommen, dass man das Mensa-Essen als unglaublich und das Beste, was einem je passiert ist betrachtet – dann weiß man, dass man es mit der Begeisterung etwas übertreibt. Aber eine zu Grunde liegende Wertschätzung jeder noch so kleinen Banalität des Studienalltags bleibt wirklich das ganze Studium über bestehen, denn man hat dafür gekämpft. Also: Gib nicht auf, sondern kämpfe! Es lohnt sich!

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